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Was die Kirche aus der Finanz- und Wirtschaftskrise lernen muss Relaunch für die Kirchensteue

Was die Kirche aus der Finanz- und Wirtschaftskrise lernen muss
Relaunch für die Kirchensteuer

02.2010  Hannoverscher Pfarrverein

Von: Dipl.-Theol. Andreas Dreyer

Der Umgang der Kirche mit ihren Finanzen ist scheinheilig und unvernünftig zugleich, meint Andreas Dreyer: Scheinheilig fordert Kirche eine verteilungsgerechte und armenorientierte Wirtschaftsordnung und betreibt doch gleichzeitig ungeniert zahlreiche Möglichkeiten der Geldvermehrung des spekulativen Turbo-Kapitalismus. Unvernünftig bindet Kirche dabei einen Teil ihrer Finanzen an die Risiken eines äußerst fragilen Finanzsystems.




Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute wie Böse (Mt. 5,45) – mit dieser geradezu prophetischen Losung aus der Bergpredigt begann der 15. September 2008, jener Tag, an dem die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers bankrott ging. Eine Reihe von Rettungsversuchen, auch noch in der Nacht zuvor, war gescheitert. Das Datum markiert insofern eine Zeitenwende, als dieses Ereignis nicht isoliert zu betrachten ist, sondern es anschließend in dichter Folge zum zeitnahen Zusammenbruch vieler anderer sog. Investmentbanken und zu einer in diesem Ausmaß nicht für möglich gehaltenen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kam, die insgesamt Werte von geschätzten bis zu 5.000 Mrd. (!) USD vernichtete (Sinn, Kasino, 197), die Menschen in anderen Branchen und Ländern um ihre Arbeit und/oder ihre Ersparnisse brachte und Regierungen zu radikalen, so noch nie zuvor erforderlichen Schritten nötigte. Gigantische Auffanglösungen für angeschlagene Banken und Versicherer wie Fanny Mae, AIG, IKB, Hypo Real Estate wurden rund um den Erdball nötig, riesige sog. Konjunkturpakete für fast alle namhaften Volkswirtschaften geschnürt (geschätzter Umfang 1.130 Mrd. €; Sinn, 229); es kam zu Verstaatlichungen von Banken, Versicherern u.a., um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern. All das waren und sind Maßnahmen, die insgesamt das Ausmaß der Verschuldung der öffentlichen Haushalte in ungeahnte Höhen getrieben haben – alles zu Lasten des Steuerzahlers bzw. kommender Generationen. So stieg die Staatsverschuldung in Deutschland steil auf mittlerweile über 1,6 Bio. € an.
Die Hauptursache des Desasters, das bei Lehman seinen Ausgang nahm und dessen Ende wir immer noch nicht absehen können, waren dabei hochkomplizierte, zuvor für sicher gehaltene »verbriefte« Sammel-Schuldverschreibungen auf vornehmlich US-amerikanische Immobilienkredite (sog. Credit Default Swaps), die in Folge einer geplatzten Blase mit anschließender Kettenreaktion praktisch wertlos wurden und damit Banken, Immobilienfinanzierer und sogar ganze Staaten wie z.B. Island in einen Abwärtssog zogen. Über die volkswirtschaftlichen und konjunkturellen Folgen dieser Ereignisse gibt es bereits fachwissenschaftliche Untersuchungen (z.B. H.W. Sinn, Der Kasino-Kapitalismus) und wird es in Zukunft Abhandlungen in großer Zahl geben. All dies kann hier nicht en detail erörtert werden (obwohl auch dies durchaus ein theologisches Thema wäre; schließlich ist diese Weltwirtschaftskrise, anders als die Asienkrise der 90er Jahre, vom sog. christlichen Kulturkreis ausgegangen). An dieser Stelle von Belang ist allein, welche Folgerungen die Kirche für die zukünftige Sicherung ihrer Finanzen aus dieser globalen Finanz- und Wirtschaftkrise ziehen und wie protestantische Theologie diese Ereignisse bewerten sollte.


Denkschriften pro Soziale Marktwirtschaft

Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben sich in der Vergangenheit mit einer Reihe von Denkschriften sowie weiteren Verlautbarungen zu wirtschaftsethischen und sozialen Fragen zu Wort gemeldet. Diese Texte (neben dem Sozialwort beider Kirchen aus dem Jahre 1997, vor allem: Wie ein Riss in einer großen Mauer (EKD-Text 100, Juni 2009) sowie die päpstliche Enzyklika Caritas in Veritate (2009)) verstehen sich, ausgehend von der jüdisch-christlichen Tradition, als kirchliche Worte, die gemäß einer häufig zu hörenden Formel, nicht selbst (Wirtschafts-)Politik machen, eine solche aber sehr wohl möglich machen wollen. Inhaltlich handelt es sich bei diesen Verlautbarungen zumeist um kritische Mahn- und Warnworte vor schranken- und zügellosem Gewinnstreben oder unhinterfragtem Wachstumsdenken, die durch eine Reihe von Appellen zu mehr gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, Nachhaltigkeit und staatlicher Regulierung des Wirtschaftslebens gekennzeichnet sind. Die meisten dieser Verlautbarungen haben dabei die Soziale Marktwirtschaft als eine ethisch vom christlichen Glauben her zu vertretende und sach- wie menschengerechte Wirtschafts- und Sozialordnung herausgestellt, obgleich diese – wie eingeräumt wird – immer auch Elemente persönlichen Gewinnstrebens enthält. Sie haben dabei aber fast immer Warnungen vor übertriebener Gewinnmaximierung, vor zunehmender Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Arm und Reich ausgesprochen und damit den sog. »schrankenlosen oder freien Kapitalismus« vehement abgelehnt.
Unter der Leitidee der Sozialen Gerechtigkeit und später der weitergehenden (befreiungstheologischen) Option für die Armen waren die meisten Denkschriften eher staatslastig im Sinne einer vom Gemeinwesen zu fördernden Gleichheit, die klar Vorrang haben müsse vor dem Gewinnstreben einzelner oder der wirtschaftlichen Dynamik schlechthin. Die permanent ansteigende Staatsquote, in erster Linie durch immer weitere Teile des Staatshaushaltes verschlingende Sozialleistungen verursacht, so wünschenswert sie im Einzelnen auch sein mögen, wurde dabei sicherlich aus heutiger Sicht nicht hinreichend auf ihre Finanzierbarkeit geprüft, sondern als notwendiger und zugleich weitgehend unproblematischer staatlicher Umverteilungsvorgang verstanden. Und zwar aus der Grundannahme eines anscheinend permanenten Wirtschaftswachstums heraus, das man nicht weiter infrage stellte. So wähnte man, all diese sozialstaatlichen Segnungen auch langfristig finanzieren zu können.
Bedauerlicherweise gelingt es aber vor allem anderen beiden Kirchen in ihren Denkschriften nicht, in ihren sog. »Sozialworten« auch ihr eigenes Handeln zu hinterfragen (bzw. eine Theorie ihres eigenen Wirtschaftens zu entwerfen); die Gesellschaft bzw. die Wirtschaft wird stets als ein Gegenüber scheinobjektiviert, das man als Kirche vollmundig kritisieren zu dürfen meint, ohne einmal selbstkritisch das »Wirtschaften« mit den eigenen Finanzen zu reflektieren.
Dies war nicht immer so. Über lange Zeit hatten Kirchen gegenüber Konzernen, großen Privatbanken und Versicherern durchaus Vorbehalte grundsätzlicher Art gehegt und dies auch selbst in ihrem Handeln beherzigt (man denke nur an den Konflikt zwischen Deutscher Bank und EKD in den 80ern im Blick auf Südafrika). Erst gegen Ende der 90er Jahre schienen die Kirchen ihren Frieden mit nationalen wie internationalen Großbanken und Konzernen gemacht zu haben. Kirchen tätigten auch zunehmend eigene, z.T. spekulative Engagements bei Großbanken; in der eigenen Geldanlage begann man »mutiger« zu werden (Finanztitel statt Ländereien), zu Arbeitsplatz vernichtenden Unternehmensfusionen wurde geschwiegen und man akzeptierte stillschweigend die Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen. Warnungen vor übertriebenen Zinsentwicklungen, vor bestimmten Arten von Wertpapieren, vor einseitiger Shareholder-Value-Orientierung, früher gerade aus protestantischen Kreisen heraus durchaus gängig, waren zuletzt, vor Ausbruch der Finanzkrise, praktisch überhaupt nicht mehr zu vernehmen. Entweder hatte Kirche hier resigniert vor einer »mündig gewordenen Welt« (Bonhoeffer), der man ihren Lauf zu lassen habe, oder aber man hatte schlichtweg nichts mehr dazu zu sagen im Sinne von innerer Zustimmung bzw. Bejahung der eigenen Bereicherung, die man aber aus einem Rest von theologischer Scham, christlichem Anstand und Treue zur eigenen Tradition nicht klar auszusprechen wagte.


Zinslast und Zinsertrag

Der enorme Anstieg der Staatsverschuldung in nahezu allen namhaften Industrieländern vor allem durch die gegenwärtige Finanzkrise hat zur Folge, dass die Zinslast der öffentlichen Haushalte kontinuierlich weiter ansteigt (von Tilgung kann gar nicht gesprochen werden). Die Bundesschuld belastet den Haushalt inzwischen in einem Umfang von ca. 11%. Für 2010 ist allein im Bundhaushalt eine neue Nettokreditaufnahme von ca. 86 Mrd. € vorgesehen. Das strukturschwache Niedersachsen z.B. muss seinen bisherigen Konsolidierungskurs verlassen und die Schuldenaufnahme im Vergleich von 2009 zu 2010 verzehnfachen (von 230 Mio. auf ca. 2,3 Mrd. €). Das engt die Handlungsspielräume der Politik mehr und mehr ein, letztlich zum Schaden aller.
Die Politiker aller Parteien werden deshalb verständlicherweise nichts unversucht lassen, um Einfluss auf die (nominell allerdings unabhängigen) Zentralbanken auszuüben, damit wenigstens die Leitzinsen, die derzeit auf Rekordtiefs verharren, weiter niedrig gehalten werden können und an einer Politik des sog. »billigen Geldes« festgehalten wird. Denn niedrige Leitzinsen bedeuten niedrige Zinskosten/Zinslasten für Kredite; und eine solche Zinspolitik ist aus konjunkturellen Gründen ohnehin geboten, weil nur so reale Anreizstrukturen für Inlandsinvestitionen gegeben werden können, die arbeitsmarkt- wie industriepolitisch gesehen unverzichtbar sind. Gleichzeitig wird die öffentliche Hand einen gewissen Anstieg der Inflation durchaus hinzunehmen bereit sein, denn dies entwertet die Verschuldung und hilft ebenfalls, die Haushalte zu konsolidieren. Und vielleicht werden sogar Kirchenvertreter, sich mehr an biblischen Texten (Ex. 22,24; Lev. 25,36 etc.) als an kirchlichen Rücklagen und Stiftungs-Kapitalstöcken orientierend, irgendwann gar ein biblisches Hall- bzw. Erlassjahr fordern, um einer überhand nehmenden Staatsverschuldung Einhalt zu gebieten!
Aus alledem folgt, dass Verzinsungen von Staatsanleihen und anderen Anlageprodukten bester Bonität mit hoher Wahrscheinlichkeit auf lange Sicht niedrig rentieren evtl. sogar negative Nettokapitalrenditen die Folge der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein werden (vgl. Japan). Bei Fälligkeiten oder Neuanlagen in den Kapitalstöcken von Pensionskassen, Stiftungen etc. ist man permanent genötigt, Wertpapiere mit weitaus geringerer Verzinsung als zuvor zu kaufen. Die Zinserträge werden also deutlich absinken, wie bei den Lebensversicherungen und deren Garantieverzinsungen auch. Wer hier – wie teilweise schon zu hören – die Hoffnung hegt, es käme in relativ kurzer Zeit wieder zu einer Normalisierung der Zinskurven, der oder die wird á la longue eines besseren belehrt werden.


Spekulationsprobleme

Natürlich können Anleger, also auch kirchliche Stiftungen, durch Ausweichverhalten und Streuung versuchen, höhere Verzinsungen resp. Renditen anzustreben, als sie über Staatsanleihen o.ä. derzeit möglich sind. Hierzu steht nach wie vor bekanntlich eine unüberschaubar breite Palette von Anlageprodukten unterschiedlicher Art der Finanzindustrie bereit. Allein, dies gelingt natürlich i.d.R. nur durch die Inkaufnahme eines deutlich höheren Risikos (Chance-Risiko-Relation).
Was dem privaten wie auch dem »normalen« institutionellen Anleger hier sehr wohl erlaubt ist, nämlich eine höhere Risikostruktur seines Portfolios zu akzeptieren, ist es den Kirchen um den Preis ihrer Glaubwürdigkeit mit ihren hohen ethischen Maßstäben und ihren stets kritischen Vorgaben zur Wirtschafts- und Sozialpolitik noch lange nicht! Es kann sogar nur davor mit allem Nachdruck gewarnt werden, sich hier den schon wieder vernehmbaren Einflüsterungen der Finanzakrobaten mit ihren Zins- und Gewinnversprechen hinzugeben. Zwar locken gerade in einer vermeintlichen derzeitigen Baisse am Aktienmarkt Risikopapiere mit hohen Renditen, allein, diese sind natürlich keineswegs sicher. Gleichzeitig drohen nämlich Abstürze, wie sie z.B. die oldenburgische Kirche mit ihren Lehman-Zertifikaten erleiden musste, wobei klarzustellen ist: derartige Dinge können passieren, so bitter sie im Einzelfall sein mögen. Zwar waren diese in der Schadenssumme gar nicht einmal exorbitant (ca. 4,5 Mio. €), doch die überaus heftigen Medienreaktionen zeigten, dass eine zunehmend kritische Öffentlichkeit den Kirchen Spekulationsverluste mit anvertrautem Gelde aus nachvollziehbaren Gründen weit weniger durchgehen lässt als anderen ebenfalls betroffenen Organisationen (wie z.B. Krankenkassen oder Landesbanken). Die Schadensmeldung der Oldenburger »schaffte« es, auf den Wirtschaftsseiten der überregionalen Tageszeitungen viel größere Verluste anderer Organisationen spielend zu toppen, und führte zu hämischen und lang anhaltenden Reaktionen, die das Ansehen der evangelischen Kirche insgesamt in Mitleidenschaft gezogen haben.
Eine ähnliche Gefahr bedeutet die inzwischen unüberschaubare Vielzahl kirchlicher Stiftungen und Fördereinrichtungen mit ihren unzähligen Vorständen, Beiräten und Entscheidungsträgern: auch eine noch so bemühte und sorgfältige Stiftungsaufsicht wird nicht generell a priori Vorfälle wie die um die Emder A-Lasco-Bibliothek ausschließen können, wo das Fehlverhalten eines einzelnen einen Millionenschaden (Gesamtschadenssumme ca. 6 Mio. €) verursacht hatte.
Man ziehe daraus die notwendigen Schlüsse: Die durchaus hier und dort erzielbaren möglichen, aber risikobehafteten höheren Renditen stehen für die Kirche in überhaupt keinem Verhältnis zum potentiellen Ansehensverlust, den man zu gewärtigen hätte, wenn Investments sich nicht wie geplant rentieren, sondern zu Abschreibungen führen. Wer hohe Ansprüche an andere stellt, der sollte sich in seinem eigenen Hause auch entsprechend verhalten, für die Kirche sehr kostspielige Glaubwürdigkeitsdefizite sind sonst die Folge! Von daher verbietet sich die theoretische Option, riskante Finanzmarktgeschäfte mit kirchlichen Geldern vorzunehmen. Dies im Verborgenen zu tun, ist eine Möglichkeit, die Kirche ohnehin nicht offen steht. Und ob Kirchenvertreter bessere Anlageergebnisse erzielen als Privatanleger, darf ebenfalls bezweifelt werden. Die Landesbanken jedenfalls haben gezeigt, dass die öffentliche Hand nicht eo ipso der bessere Anleger ist. Man wird sich also bescheiden müssen – und das ist gut so!


Notwendige Rückbesinnung auf Umlagefinanzierung

Die Finanz- und Wirtschaftskrise öffnet die Augen dafür, ein in den Boomjahren von nicht wenigen für absolut überholt und anachronistisch angesehenes Modell doch endlich wieder mehr wertzuschätzen und zu pflegen: die klassische Umlagefinanzierung. Die Kirchen generieren ohnehin den weit überwiegenden Teil ihrer Einnahmen aus der Kirchensteuer (bis zu 90%), die praktisch ein Umlageverfahren darstellt, wenn auch eines mit (leider) eingeschränkter Bemessungsgrundlage. Allein, das Bewusstsein dafür war und ist in Teilen der kirchlichen Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr vorhanden. Die offiziellen Fundraising- und Stiftungskampagnen mancher Landeskirchen (z.B. in Hannover) in der Vergangenheit – und auch noch gegenwärtig – haben nämlich permanent die fatale Illusion genährt, ein scheinbar grenzenlos wachsender Spendenmarkt, verbunden mit geschickter Anlagepolitik, könne eine neue Grundlage der Kirchenfinanzierung, die uns von der Kirchensteuer mit all ihren Imponderabilien ein Stück weit unabhängig machen würde, schaffen. So wurden mehrmals sogar Einnahmen aus der Kirchensteuer, anstelle sie, wie der Steuerzahler es mit Recht erwarten darf, für gegenwärtige Herausforderungen zu verausgaben, als sog. »Bonifizierungen« in Stiftungen umgeleitet und es wurde sogar behauptet, diese wären nun dadurch sicher »für alle Ewigkeit«!
Die Kernschmelze des Finanzsystems betrifft aber natürlich auch die Stiftungen, die endlich entmythologisiert gehören! Die Kapitalstöcke amerikanischer Eliteuniversitäten schmolzen seit September 2008 teilweise um ca. 30% (Harvard gar um 40%!) zusammen, die dort zahlreichen und wichtigen Pensionsfonds teilweise um 21%! Statt also sichere Anstellungsverhältnisse zu garantieren, müssen die Universitäten gerade wegen ihrer kapitalgedeckten Finanzierung Personal abbauen und Stipendien streichen. Selbst wenn es wegen etwas andersartiger Anlagepolitik und strengerer Stiftungsaufsicht in Deutschland ein hoffentlich geringeres Defizit geben sollte: eine absolute, ja auch bereits eine relative Kapitalgarantie kann und darf niemand aus der bloßen Tatsache ableiten, dass Geld sich im Kapitalstock einer Stiftung oder Pensionskasse befindet. Und eine wirklich tragfähige Spendensumme konnte selbst in den Boomjahren nicht einmal annähernd erreicht werden – und wird es in den nun kommenden Jahren noch viel weniger.
Wohl auch deshalb wird bis heute eine neutrale Evaluation der Kosten-Nutzen-Relation des Fundraising-Experiments bezeichnenderweise bewusst unterlassen. Man darf darauf gespannt sein, wann diese endlich erfolgt. Es wird sich nämlich herausstellen: Bestenfalls stagniert bei den nun anstehenden Steuererhöhungen und Kürzungen staatlicher Leistungen das Spendenaufkommen, sehr viel wahrscheinlicher jedoch sinkt es. Die Zinserträge der Stiftungen werden sehr viel bescheidener ausfallen als erhofft, denn die Leitzinsen und mit ihnen die Umlaufrendite haben sich seit Beginn der Finanzkrise quasi halbiert. Und anziehende Inflation wird ein Übriges tun, um einen zusätzlichen Wertverlust beizusteuern. Hier nun rächt sich, dass die theologisch wie fiskalisch so wichtige und gebotene Mitgliederpflege und Werbung für Kirchenmitgliedschaft und der so dringend erforderliche Aufbau einer wertschätzenden Dankeskultur für die Kirchensteuer in den entscheidenden Jahren vor Beginn der Krise praktisch vollständig zum Erliegen gekommen war und ist – zugunsten des Aufbaus übersteigerter Fundraising-Kampagnen. Zunehmende Mitgliederverluste von inzwischen beträchtlichem Ausmaß sind mittlerweile eingetreten, die auch bei einem radikalen Umsteuern nur schwerlich wettzumachen sein werden.
Eine Rückbesinnung darauf, in Wohl und Wehe mitglieder- und damit umlageabhängig zu sein, tut in den Landeskirchen folglich unbedingt not. Es gilt hier die für ein Umsteuern auch theologisch so wichtige Maxime: besser spät als nie. Es sollte also umgehend ein Umdenken und Umsteuern zugunsten einer angemessen hohen Wertschätzung der Mitgliedschaft geben – und ein Eingeständnis, dass es eine sichere Kirchenfinanzierung nicht auf der Grundlage von unsicherem Spendenzufluss oder aus Zinserträgen vergleichsweise noch dazu geringer Kapitalstöcke geben kann. Die eingetretenen Wertverluste sind sorgfältig zu bilanzieren. Zudem sollte künftig viel stärker als bisher die Ausgabenseite kirchlicher Gelder beachtet werden. Hier ist ein erhebliches Einsparpotential vorhanden, wie die immer wieder zu beobachtende Verschwendung von Kirchengeldern ahnen lässt, die auch einmal ein »Schwarzbuch des (Kirchen-)Steuerzahlerbundes« dringend benötigte.


Ausblick

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat wenigstens insofern ihr Gutes, als sie uns 20 Jahre nach dem Untergang des planwirtschaftlichen Systems (und damit des vermeintlichen Totalerfolges des freien Marktes) radikal auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen hat. Eine sehr weitgehende Loslösung des Kapitalverkehrs von der Realwirtschaft und ein Irrglaube an sichere Traumrenditen des »von selbst arbeitenden Geldes«, wie wir beides in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise erlebt haben, musste über kurz oder lang in einem Zusammenbruch dieser Art enden. Dass warnende Stimmen, die es vereinzelt durchaus gegeben hat, in der Vergangenheit geflissentlich auch und gerade in den Kirchen überhört wurden, ist zwar von der Natur des Menschen her vollkommen verständlich, aber dennoch gerade im christlichen Bereich sehr bedauerlich. Denn wo sonst wenn nicht in den Kirchen hätte das Wissen um die Unterscheidung von richtigen bzw. falschen Sicherheiten (certitudo vs. securitas) bewahrt werden können, ja müssen? Die Kirchen haben von ihrer jüdisch-christlichen Ursprungstradition her mit Vehemenz der Vergötzung einer längst zum Selbstzweck mutierten Finanz- und Geldwirtschaft und vor allem des Zins- und Renditedenkens nicht nur proklamatorisch nach außen hin zu widersprechen, sondern vor allem durch ihr eigenes zeugnishaftes Handeln einen glaubhaften Gegenimpuls gegen den Mammon (Mt. 6,24) zu setzen, selbst wenn diesem Tun vom Umfang her eher symbolhafte Bedeutung zukommt. Dieser kann vor allem anderen durch eine Katharsis, was den Irrglauben an die vermeintlich unverbrüchliche Zukunftssicherheit von zins- und renditegestützten Finanzierungen anbelangt, erreicht werden.
Solidarischen, gerechten und transparenten direkten Finanzierungssystemen auf Umlagebasis (Ex. 22,28; Dtn. 14,22f; 26,12) ist eindeutig der Vorzug zu geben vor Versuchungen aller Art, was vermeintlich »auf Ewigkeit sichere« Kapitalstöcke und sicher geglaubte Durchschnittsrenditen anbelangt. All dem, was vom Elementarwissen um die absolute Unverzichtbarkeit von Mitgliederbindung und Umlagefinanzierung ablenkt, sollte zukünftig kirchlicherseits mutig widerstanden werden, denn wie heißt es so schön: Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, kann schnell zur Witwe werden.


Literatur:

Böll, Sven, US-Pensionsfonds kämpfen mit Horror-Defizit, Der SPIEGEL 42/2009
Fritz, Stefan (u. Mecking, Christoph), Finanzkrise-Stiftungskrise, in: Stiftung & Sponsoring 6/2008, 34ff
Füller, Christian, Harvard verliert gigantische Vermögenswerte, Der SPIEGEL (16.12.2008)
Kirchenamt der EKD, Wie ein Riss..., EKD-Text Nr. 100, Hannover 2008
Lührs, Hermann, Strukturelles Problem, in: zeitzeichen 1/2009, 52f
Siebert, Horst, Jenseits des Sozialen Marktes, München 2005
Sinn, Hans Werner, Kasino-Kapitalismus, Berlin 2009
Ders., Ist Deutschland noch zu retten?, München, 3. Aufl. 2003
Ders., Die Basar-Ökonomie, Berlin 2005
Ders., Mut zu Reformen, München 2004
Titz, Christoph, Die Entlaubung der Efeuliga, Der SPIEGEL (14.11.2008)
Ders., Yale büßt fünf Milliarden Dollar ein, Der SPIEGEL (5.12.2008)
Ders., Harvard verbrennt acht Milliarden Dollar, Der SPIEGEL (5.12.2008)
Tns-Infratest, Deutscher Spendenmonitor 2008, Bielefeld 2008
Wiarda, Jan Martin, Das Ende der Großzügigkeit, Die ZEIT 46/2008

Über den Autor

Pastor Dipl.-Theol. Andreas Dreyer, Jahrgang 1962, Vorsitzender des Hannoverschen Pfarrvereins, Mitglied im Pastorenausschuss der Hannoverschen Landeskirche, Pastor ins Landesbergen.

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Publiziert am: Montag, 22. Februar 2010 (4758 mal gelesen)
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