Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute wie Böse
(Mt. 5,45) – mit dieser geradezu prophetischen Losung aus der
Bergpredigt begann der 15. September 2008, jener Tag, an dem die
US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers bankrott ging. Eine
Reihe von Rettungsversuchen, auch noch in der Nacht zuvor, war
gescheitert. Das Datum markiert insofern eine Zeitenwende, als dieses
Ereignis nicht isoliert zu betrachten ist, sondern es anschließend in
dichter Folge zum zeitnahen Zusammenbruch vieler anderer sog.
Investmentbanken und zu einer in diesem Ausmaß nicht für möglich
gehaltenen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kam, die insgesamt
Werte von geschätzten bis zu 5.000 Mrd. (!) USD vernichtete (Sinn,
Kasino, 197), die Menschen in anderen Branchen und Ländern um ihre
Arbeit und/oder ihre Ersparnisse brachte und Regierungen zu radikalen,
so noch nie zuvor erforderlichen Schritten nötigte. Gigantische
Auffanglösungen für angeschlagene Banken und Versicherer wie Fanny Mae,
AIG, IKB, Hypo Real Estate wurden rund um den Erdball nötig, riesige
sog. Konjunkturpakete für fast alle namhaften Volkswirtschaften
geschnürt (geschätzter Umfang 1.130 Mrd. €; Sinn, 229); es kam zu
Verstaatlichungen von Banken, Versicherern u.a., um einen Kollaps der
Weltwirtschaft zu verhindern. All das waren und sind Maßnahmen, die
insgesamt das Ausmaß der Verschuldung der öffentlichen Haushalte in
ungeahnte Höhen getrieben haben – alles zu Lasten des Steuerzahlers
bzw. kommender Generationen. So stieg die Staatsverschuldung in
Deutschland steil auf mittlerweile über 1,6 Bio. € an.
Die Hauptursache des Desasters, das bei Lehman seinen Ausgang nahm und
dessen Ende wir immer noch nicht absehen können, waren dabei
hochkomplizierte, zuvor für sicher gehaltene »verbriefte«
Sammel-Schuldverschreibungen auf vornehmlich US-amerikanische
Immobilienkredite (sog. Credit Default Swaps), die in Folge einer
geplatzten Blase mit anschließender Kettenreaktion praktisch wertlos
wurden und damit Banken, Immobilienfinanzierer und sogar ganze Staaten
wie z.B. Island in einen Abwärtssog zogen. Über die
volkswirtschaftlichen und konjunkturellen Folgen dieser Ereignisse gibt
es bereits fachwissenschaftliche Untersuchungen (z.B. H.W. Sinn, Der
Kasino-Kapitalismus) und wird es in Zukunft Abhandlungen in großer Zahl
geben. All dies kann hier nicht en detail erörtert werden (obwohl auch
dies durchaus ein theologisches Thema wäre; schließlich ist diese
Weltwirtschaftskrise, anders als die Asienkrise der 90er Jahre, vom
sog. christlichen Kulturkreis ausgegangen). An dieser Stelle von Belang
ist allein, welche Folgerungen die Kirche für die zukünftige Sicherung
ihrer Finanzen aus dieser globalen Finanz- und Wirtschaftkrise ziehen
und wie protestantische Theologie diese Ereignisse bewerten sollte.
Denkschriften pro Soziale Marktwirtschaft
Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben sich in der
Vergangenheit mit einer Reihe von Denkschriften sowie weiteren
Verlautbarungen zu wirtschaftsethischen und sozialen Fragen zu Wort
gemeldet. Diese Texte (neben dem Sozialwort beider Kirchen aus dem
Jahre 1997, vor allem: Wie ein Riss in einer großen Mauer (EKD-Text 100, Juni 2009) sowie die päpstliche Enzyklika Caritas in Veritate
(2009)) verstehen sich, ausgehend von der jüdisch-christlichen
Tradition, als kirchliche Worte, die gemäß einer häufig zu hörenden
Formel, nicht selbst (Wirtschafts-)Politik machen, eine solche aber
sehr wohl möglich machen
wollen. Inhaltlich handelt es sich bei diesen Verlautbarungen zumeist
um kritische Mahn- und Warnworte vor schranken- und zügellosem
Gewinnstreben oder unhinterfragtem Wachstumsdenken, die durch eine
Reihe von Appellen zu mehr gesamtgesellschaftlicher Verantwortung,
Nachhaltigkeit und staatlicher Regulierung des Wirtschaftslebens
gekennzeichnet sind. Die meisten dieser Verlautbarungen haben dabei die
Soziale Marktwirtschaft als
eine ethisch vom christlichen Glauben her zu vertretende und sach- wie
menschengerechte Wirtschafts- und Sozialordnung herausgestellt,
obgleich diese – wie eingeräumt wird – immer auch Elemente persönlichen
Gewinnstrebens enthält. Sie haben dabei aber fast immer Warnungen vor
übertriebener Gewinnmaximierung, vor zunehmender Ausdifferenzierung der
Gesellschaft in Arm und Reich ausgesprochen und damit den sog.
»schrankenlosen oder freien Kapitalismus« vehement abgelehnt.
Unter der Leitidee der Sozialen Gerechtigkeit und später der weitergehenden (befreiungstheologischen) Option für die Armen
waren die meisten Denkschriften eher staatslastig im Sinne einer vom
Gemeinwesen zu fördernden Gleichheit, die klar Vorrang haben müsse vor
dem Gewinnstreben einzelner oder der wirtschaftlichen Dynamik
schlechthin. Die permanent ansteigende Staatsquote, in erster Linie
durch immer weitere Teile des Staatshaushaltes verschlingende
Sozialleistungen verursacht, so wünschenswert sie im Einzelnen auch
sein mögen, wurde dabei sicherlich aus heutiger Sicht nicht hinreichend
auf ihre Finanzierbarkeit geprüft, sondern als notwendiger und zugleich
weitgehend unproblematischer staatlicher Umverteilungsvorgang
verstanden. Und zwar aus der Grundannahme eines anscheinend permanenten
Wirtschaftswachstums heraus, das man nicht weiter infrage stellte. So
wähnte man, all diese sozialstaatlichen Segnungen auch langfristig
finanzieren zu können.
Bedauerlicherweise gelingt es aber vor allem anderen beiden Kirchen in
ihren Denkschriften nicht, in ihren sog. »Sozialworten« auch ihr
eigenes Handeln zu hinterfragen (bzw. eine Theorie ihres eigenen
Wirtschaftens zu entwerfen); die Gesellschaft bzw. die Wirtschaft wird
stets als ein Gegenüber scheinobjektiviert, das man als Kirche
vollmundig kritisieren zu dürfen meint, ohne einmal selbstkritisch das
»Wirtschaften« mit den eigenen Finanzen zu reflektieren.
Dies war nicht immer so. Über lange Zeit hatten Kirchen gegenüber
Konzernen, großen Privatbanken und Versicherern durchaus Vorbehalte
grundsätzlicher Art gehegt und dies auch selbst in ihrem Handeln
beherzigt (man denke nur an den Konflikt zwischen Deutscher Bank und
EKD in den 80ern im Blick auf Südafrika). Erst gegen Ende der 90er
Jahre schienen die Kirchen ihren Frieden mit nationalen wie
internationalen Großbanken und Konzernen gemacht zu haben. Kirchen
tätigten auch zunehmend eigene, z.T. spekulative Engagements bei
Großbanken; in der eigenen Geldanlage begann man »mutiger« zu werden
(Finanztitel statt Ländereien), zu Arbeitsplatz vernichtenden
Unternehmensfusionen wurde geschwiegen und man akzeptierte
stillschweigend die Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen.
Warnungen vor übertriebenen Zinsentwicklungen, vor bestimmten Arten von
Wertpapieren, vor einseitiger Shareholder-Value-Orientierung,
früher gerade aus protestantischen Kreisen heraus durchaus gängig,
waren zuletzt, vor Ausbruch der Finanzkrise, praktisch überhaupt nicht
mehr zu vernehmen. Entweder hatte Kirche hier resigniert vor einer
»mündig gewordenen Welt« (Bonhoeffer), der man ihren Lauf zu lassen
habe, oder aber man hatte schlichtweg nichts mehr dazu zu sagen im
Sinne von innerer Zustimmung bzw. Bejahung der eigenen Bereicherung,
die man aber aus einem Rest von theologischer Scham, christlichem
Anstand und Treue zur eigenen Tradition nicht klar auszusprechen wagte.
Zinslast und Zinsertrag
Der enorme Anstieg der Staatsverschuldung in nahezu allen namhaften
Industrieländern vor allem durch die gegenwärtige Finanzkrise hat zur
Folge, dass die Zinslast der öffentlichen Haushalte kontinuierlich
weiter ansteigt (von Tilgung kann gar nicht gesprochen werden). Die
Bundesschuld belastet den Haushalt inzwischen in einem Umfang von ca.
11%. Für 2010 ist allein im Bundhaushalt eine neue Nettokreditaufnahme
von ca. 86 Mrd. € vorgesehen. Das strukturschwache Niedersachsen z.B.
muss seinen bisherigen Konsolidierungskurs verlassen und die
Schuldenaufnahme im Vergleich von 2009 zu 2010 verzehnfachen (von 230
Mio. auf ca. 2,3 Mrd. €). Das engt die Handlungsspielräume der Politik
mehr und mehr ein, letztlich zum Schaden aller.
Die Politiker aller Parteien werden deshalb verständlicherweise nichts
unversucht lassen, um Einfluss auf die (nominell allerdings
unabhängigen) Zentralbanken auszuüben, damit wenigstens die Leitzinsen,
die derzeit auf Rekordtiefs verharren, weiter niedrig gehalten werden
können und an einer Politik des sog. »billigen Geldes« festgehalten
wird. Denn niedrige Leitzinsen bedeuten niedrige Zinskosten/Zinslasten
für Kredite; und eine solche Zinspolitik ist aus konjunkturellen
Gründen ohnehin geboten, weil nur so reale Anreizstrukturen für
Inlandsinvestitionen gegeben werden können, die arbeitsmarkt- wie
industriepolitisch gesehen unverzichtbar sind. Gleichzeitig wird die
öffentliche Hand einen gewissen Anstieg der Inflation durchaus
hinzunehmen bereit sein, denn dies entwertet die Verschuldung und hilft
ebenfalls, die Haushalte zu konsolidieren. Und vielleicht werden sogar
Kirchenvertreter, sich mehr an biblischen Texten (Ex. 22,24; Lev. 25,36
etc.) als an kirchlichen Rücklagen und Stiftungs-Kapitalstöcken
orientierend, irgendwann gar ein biblisches Hall- bzw. Erlassjahr
fordern, um einer überhand nehmenden Staatsverschuldung Einhalt zu
gebieten!
Aus alledem folgt, dass Verzinsungen von Staatsanleihen und anderen
Anlageprodukten bester Bonität mit hoher Wahrscheinlichkeit auf lange
Sicht niedrig rentieren evtl. sogar negative Nettokapitalrenditen
die Folge der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein werden (vgl.
Japan). Bei Fälligkeiten oder Neuanlagen in den Kapitalstöcken von
Pensionskassen, Stiftungen etc. ist man permanent genötigt, Wertpapiere
mit weitaus geringerer Verzinsung als zuvor zu kaufen. Die Zinserträge
werden also deutlich absinken, wie bei den Lebensversicherungen und
deren Garantieverzinsungen auch. Wer hier – wie teilweise schon zu
hören – die Hoffnung hegt, es käme in relativ kurzer Zeit wieder zu
einer Normalisierung der Zinskurven, der oder die wird á la longue
eines besseren belehrt werden.
Spekulationsprobleme
Natürlich können Anleger, also auch kirchliche Stiftungen, durch
Ausweichverhalten und Streuung versuchen, höhere Verzinsungen resp.
Renditen anzustreben, als sie über Staatsanleihen o.ä. derzeit möglich
sind. Hierzu steht nach wie vor bekanntlich eine unüberschaubar breite
Palette von Anlageprodukten unterschiedlicher Art der Finanzindustrie
bereit. Allein, dies gelingt natürlich i.d.R. nur durch die Inkaufnahme
eines deutlich höheren Risikos (Chance-Risiko-Relation).
Was dem privaten wie auch dem »normalen« institutionellen Anleger hier
sehr wohl erlaubt ist, nämlich eine höhere Risikostruktur seines
Portfolios zu akzeptieren, ist es den Kirchen um den Preis ihrer
Glaubwürdigkeit mit ihren hohen ethischen Maßstäben und ihren stets
kritischen Vorgaben zur Wirtschafts- und Sozialpolitik noch lange
nicht! Es kann sogar nur davor mit allem Nachdruck gewarnt werden, sich
hier den schon wieder vernehmbaren Einflüsterungen der Finanzakrobaten
mit ihren Zins- und Gewinnversprechen hinzugeben. Zwar locken gerade in
einer vermeintlichen derzeitigen Baisse am Aktienmarkt Risikopapiere
mit hohen Renditen, allein, diese sind natürlich keineswegs sicher.
Gleichzeitig drohen nämlich Abstürze, wie sie z.B. die oldenburgische
Kirche mit ihren Lehman-Zertifikaten erleiden musste, wobei
klarzustellen ist: derartige Dinge können passieren, so bitter sie im
Einzelfall sein mögen. Zwar waren diese in der Schadenssumme gar nicht
einmal exorbitant (ca. 4,5 Mio. €), doch die überaus heftigen
Medienreaktionen zeigten, dass eine zunehmend kritische Öffentlichkeit
den Kirchen Spekulationsverluste mit anvertrautem Gelde aus
nachvollziehbaren Gründen weit weniger durchgehen lässt als anderen
ebenfalls betroffenen Organisationen (wie z.B. Krankenkassen oder
Landesbanken). Die Schadensmeldung der Oldenburger »schaffte« es, auf
den Wirtschaftsseiten der überregionalen Tageszeitungen viel größere
Verluste anderer Organisationen spielend zu toppen, und führte zu
hämischen und lang anhaltenden Reaktionen, die das Ansehen der
evangelischen Kirche insgesamt in Mitleidenschaft gezogen haben.
Eine ähnliche Gefahr bedeutet die inzwischen unüberschaubare Vielzahl
kirchlicher Stiftungen und Fördereinrichtungen mit ihren unzähligen
Vorständen, Beiräten und Entscheidungsträgern: auch eine noch so
bemühte und sorgfältige Stiftungsaufsicht wird nicht generell a priori
Vorfälle wie die um die Emder A-Lasco-Bibliothek ausschließen können,
wo das Fehlverhalten eines einzelnen einen Millionenschaden
(Gesamtschadenssumme ca. 6 Mio. €) verursacht hatte.
Man ziehe daraus die notwendigen Schlüsse: Die durchaus hier und dort
erzielbaren möglichen, aber risikobehafteten höheren Renditen stehen
für die Kirche in überhaupt keinem Verhältnis zum potentiellen
Ansehensverlust, den man zu gewärtigen hätte, wenn Investments sich
nicht wie geplant rentieren, sondern zu Abschreibungen führen. Wer hohe
Ansprüche an andere stellt, der sollte sich in seinem eigenen Hause
auch entsprechend verhalten, für die Kirche sehr kostspielige
Glaubwürdigkeitsdefizite sind sonst die Folge! Von daher verbietet sich
die theoretische Option, riskante Finanzmarktgeschäfte mit kirchlichen
Geldern vorzunehmen. Dies im Verborgenen zu tun, ist eine Möglichkeit,
die Kirche ohnehin nicht offen steht. Und ob Kirchenvertreter bessere
Anlageergebnisse erzielen als Privatanleger, darf ebenfalls bezweifelt
werden. Die Landesbanken jedenfalls haben gezeigt, dass die öffentliche
Hand nicht eo ipso der bessere Anleger ist. Man wird sich also
bescheiden müssen – und das ist gut so!
Notwendige Rückbesinnung auf Umlagefinanzierung
Die Finanz- und Wirtschaftskrise öffnet die Augen dafür, ein in den
Boomjahren von nicht wenigen für absolut überholt und anachronistisch
angesehenes Modell doch endlich wieder mehr wertzuschätzen und zu
pflegen: die klassische Umlagefinanzierung.
Die Kirchen generieren ohnehin den weit überwiegenden Teil ihrer
Einnahmen aus der Kirchensteuer (bis zu 90%), die praktisch ein
Umlageverfahren darstellt, wenn auch eines mit (leider) eingeschränkter
Bemessungsgrundlage. Allein, das Bewusstsein dafür war und ist in
Teilen der kirchlichen Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr vorhanden.
Die offiziellen Fundraising- und Stiftungskampagnen mancher
Landeskirchen (z.B. in Hannover) in der Vergangenheit – und auch noch
gegenwärtig – haben nämlich permanent die fatale Illusion genährt, ein
scheinbar grenzenlos wachsender Spendenmarkt, verbunden mit geschickter
Anlagepolitik, könne eine neue Grundlage der Kirchenfinanzierung, die
uns von der Kirchensteuer mit all ihren Imponderabilien ein Stück weit
unabhängig machen würde, schaffen. So wurden mehrmals sogar Einnahmen
aus der Kirchensteuer, anstelle sie, wie der Steuerzahler es mit Recht
erwarten darf, für gegenwärtige Herausforderungen zu verausgaben, als
sog. »Bonifizierungen« in Stiftungen umgeleitet und es wurde sogar behauptet, diese wären nun dadurch sicher »für alle Ewigkeit«!
Die Kernschmelze des Finanzsystems betrifft aber natürlich auch die
Stiftungen, die endlich entmythologisiert gehören! Die Kapitalstöcke
amerikanischer Eliteuniversitäten schmolzen seit September 2008
teilweise um ca. 30% (Harvard gar um 40%!) zusammen, die dort
zahlreichen und wichtigen Pensionsfonds teilweise um 21%! Statt also
sichere Anstellungsverhältnisse zu garantieren, müssen die
Universitäten gerade wegen ihrer kapitalgedeckten Finanzierung Personal
abbauen und Stipendien streichen. Selbst wenn es wegen etwas
andersartiger Anlagepolitik und strengerer Stiftungsaufsicht in
Deutschland ein hoffentlich geringeres Defizit geben sollte: eine
absolute, ja auch bereits eine relative Kapitalgarantie kann und darf
niemand aus der bloßen Tatsache ableiten, dass Geld sich im
Kapitalstock einer Stiftung oder Pensionskasse befindet. Und eine
wirklich tragfähige Spendensumme konnte selbst in den Boomjahren nicht
einmal annähernd erreicht werden – und wird es in den nun kommenden
Jahren noch viel weniger.
Wohl auch deshalb wird bis heute eine neutrale Evaluation der Kosten-Nutzen-Relation
des Fundraising-Experiments bezeichnenderweise bewusst unterlassen. Man
darf darauf gespannt sein, wann diese endlich erfolgt. Es wird sich
nämlich herausstellen: Bestenfalls stagniert bei den nun anstehenden
Steuererhöhungen und Kürzungen staatlicher Leistungen das
Spendenaufkommen, sehr viel wahrscheinlicher jedoch sinkt es. Die
Zinserträge der Stiftungen werden sehr viel bescheidener ausfallen als
erhofft, denn die Leitzinsen und mit ihnen die Umlaufrendite haben sich
seit Beginn der Finanzkrise quasi halbiert. Und anziehende Inflation
wird ein Übriges tun, um einen zusätzlichen Wertverlust beizusteuern.
Hier nun rächt sich, dass die theologisch wie fiskalisch so wichtige
und gebotene Mitgliederpflege und Werbung für Kirchenmitgliedschaft und
der so dringend erforderliche Aufbau einer wertschätzenden Dankeskultur
für die Kirchensteuer in den entscheidenden Jahren vor Beginn der Krise
praktisch vollständig zum Erliegen gekommen war und ist – zugunsten des
Aufbaus übersteigerter Fundraising-Kampagnen. Zunehmende
Mitgliederverluste von inzwischen beträchtlichem Ausmaß sind
mittlerweile eingetreten, die auch bei einem radikalen Umsteuern nur
schwerlich wettzumachen sein werden.
Eine Rückbesinnung darauf, in Wohl und Wehe mitglieder- und damit
umlageabhängig zu sein, tut in den Landeskirchen folglich unbedingt
not. Es gilt hier die für ein Umsteuern auch theologisch so wichtige
Maxime: besser spät als nie.
Es sollte also umgehend ein Umdenken und Umsteuern zugunsten einer
angemessen hohen Wertschätzung der Mitgliedschaft geben – und ein
Eingeständnis, dass es eine sichere Kirchenfinanzierung nicht auf der
Grundlage von unsicherem Spendenzufluss oder aus Zinserträgen
vergleichsweise noch dazu geringer Kapitalstöcke geben kann. Die
eingetretenen Wertverluste sind sorgfältig zu bilanzieren. Zudem sollte
künftig viel stärker als bisher die Ausgabenseite kirchlicher Gelder
beachtet werden. Hier ist ein erhebliches Einsparpotential vorhanden,
wie die immer wieder zu beobachtende Verschwendung von Kirchengeldern
ahnen lässt, die auch einmal ein »Schwarzbuch des
(Kirchen-)Steuerzahlerbundes« dringend benötigte.
Ausblick
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat wenigstens insofern ihr
Gutes, als sie uns 20 Jahre nach dem Untergang des planwirtschaftlichen
Systems (und damit des vermeintlichen Totalerfolges des freien Marktes)
radikal auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen hat. Eine sehr
weitgehende Loslösung des Kapitalverkehrs von der Realwirtschaft und
ein Irrglaube an sichere Traumrenditen des »von selbst arbeitenden
Geldes«, wie wir beides in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise
erlebt haben, musste über kurz oder lang in einem Zusammenbruch dieser
Art enden. Dass warnende Stimmen, die es vereinzelt durchaus gegeben
hat, in der Vergangenheit geflissentlich auch und gerade in den Kirchen
überhört wurden, ist zwar von der Natur des Menschen her vollkommen
verständlich, aber dennoch gerade im christlichen Bereich sehr
bedauerlich. Denn wo sonst wenn nicht in den Kirchen hätte das Wissen
um die Unterscheidung von richtigen bzw. falschen Sicherheiten (certitudo vs. securitas)
bewahrt werden können, ja müssen? Die Kirchen haben von ihrer
jüdisch-christlichen Ursprungstradition her mit Vehemenz der Vergötzung
einer längst zum Selbstzweck mutierten Finanz- und Geldwirtschaft und
vor allem des Zins- und Renditedenkens nicht nur proklamatorisch nach
außen hin zu widersprechen, sondern vor allem durch ihr eigenes
zeugnishaftes Handeln einen glaubhaften Gegenimpuls gegen den Mammon
(Mt. 6,24) zu setzen, selbst wenn diesem Tun vom Umfang her eher
symbolhafte Bedeutung zukommt. Dieser kann vor allem anderen durch eine
Katharsis, was den Irrglauben an die vermeintlich unverbrüchliche
Zukunftssicherheit von zins- und renditegestützten Finanzierungen
anbelangt, erreicht werden.
Solidarischen, gerechten und transparenten direkten
Finanzierungssystemen auf Umlagebasis (Ex. 22,28; Dtn. 14,22f; 26,12)
ist eindeutig der Vorzug zu geben vor Versuchungen aller Art, was
vermeintlich »auf Ewigkeit sichere« Kapitalstöcke und sicher geglaubte
Durchschnittsrenditen anbelangt. All dem, was vom Elementarwissen um
die absolute Unverzichtbarkeit von Mitgliederbindung und
Umlagefinanzierung ablenkt, sollte zukünftig kirchlicherseits mutig
widerstanden werden, denn wie heißt es so schön: Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, kann schnell zur Witwe werden.
Literatur:
Böll, Sven, US-Pensionsfonds kämpfen mit Horror-Defizit, Der SPIEGEL 42/2009
Fritz, Stefan (u. Mecking, Christoph), Finanzkrise-Stiftungskrise, in: Stiftung & Sponsoring 6/2008, 34ff
Füller, Christian, Harvard verliert gigantische Vermögenswerte, Der SPIEGEL (16.12.2008)
Kirchenamt der EKD, Wie ein Riss..., EKD-Text Nr. 100, Hannover 2008
Lührs, Hermann, Strukturelles Problem, in: zeitzeichen 1/2009, 52f
Siebert, Horst, Jenseits des Sozialen Marktes, München 2005
Sinn, Hans Werner, Kasino-Kapitalismus, Berlin 2009
Ders., Ist Deutschland noch zu retten?, München, 3. Aufl. 2003
Ders., Die Basar-Ökonomie, Berlin 2005
Ders., Mut zu Reformen, München 2004
Titz, Christoph, Die Entlaubung der Efeuliga, Der SPIEGEL (14.11.2008)
Ders., Yale büßt fünf Milliarden Dollar ein, Der SPIEGEL (5.12.2008)
Ders., Harvard verbrennt acht Milliarden Dollar, Der SPIEGEL (5.12.2008)
Tns-Infratest, Deutscher Spendenmonitor 2008, Bielefeld 2008
Wiarda, Jan Martin, Das Ende der Großzügigkeit, Die ZEIT 46/2008
Über den Autor
Pastor
Dipl.-Theol. Andreas Dreyer, Jahrgang 1962, Vorsitzender des
Hannoverschen Pfarrvereins, Mitglied im Pastorenausschuss der
Hannoverschen Landeskirche, Pastor ins Landesbergen.