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Geld und Ethik-Vertrag von Dr.M.Schlicht >Mai 2008

Geld und Ethik-Vertrag von Dr.M.Schlicht

 

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Hauptsache die Kohle stimmt -- Geld und Ethik

Vortrag von Dr. Matthias Schlicht im Rahmen der Reihe Wissenschaft, Technik und Ethik

Evangelische Studentengemeinde Clausthal, 24. November 2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

einen Vortrag zum Thema Geld und Ethik zu halten, ist ein gewagtes Unterfangen, sagt doch der Volksmund: Über Geld spricht man nicht (man hat es).

Gegen diesen volkstümlichen Rat nun doch vom Geld zu sprechen, sogar noch in Vortragsform, erfordert zwei gewichtige Gründe: einmal die Einladung der Evangelischen Studentengemeinde Clausthal, dies zu tun, und zum anderen: das Thema liegt in der Luft.

Nicht nur hier und heute abend, sondern allgemein und gesellschaftlich. Es scheint so, als drehe sich alles nur noch ums Geld.

Da ist die Auseinandersetzung um die Lohnpolitik, die Debatte um die Staatsverschuldung, die Steuerpolitik; selbst im werten Fernsehen, immerhin ein Seismograph für gesellschaftliche Interessen, flimmert am Samstagabend eine Einhunderttausend-Euro-Show in's Wohnzimmer, bei Günther Jauch gibt es gar eine ganze Million und ein Einfamilienhaus von Linda de Mol.

Bei Geld hört der Spaß allerdings auf, und viele Zuschauer leiden buchstäblich mit den armen Kandidaten mit, wenn der Traumgewinn nicht erreicht wird.



[Matthias Schlicht]

bei seinem Vortrag
Fotos: Andre Bertram



 


Wo die einen leiden, lachen die anderen: zum Beispiel über das Möbelhaus, das 1998 ein Wettdauerliegen im Ehebett für 10.000 DM als Werbegag anpries. Aus dem Gag wurde ein Grauen. Arbeitslose Pärchen machten aus dem Werbethema ein Lebensdrama. Das Möbelhaus ließ am Ende die Idee fallen und zahlte allen Beteiligten das Preisgeld des Siegers. Gerade noch rechtzeitig. Hätte das Liegedebakel noch länger gedauert, wären vermutlich Parallelen aus den USA am Anfang des Jahrhunderts wieder in den Sinn gekommen. Marathontanzwettbewerbe wurden damals veranstaltet, bei denen Dauerarbeitslose - bis zur Aufgabe der Menschenwürde und Gesundheit - alles getan haben, für eine Handvoll Dollars. Es gibt einen Spielfilm über diese Tanzwettbewerbe, in der deutschen Übersetzung trägt er den treffenden Titel Pferden gibt man den Gnadenschuß.

Für Geld macht man eben alles, oder? Schließlich hat doch alles seinen Preis, den man in Geld messen kann, oder?

Damit sind wir mitten in unserem Thema: Geld und Ethik.

1. Was ist Ethik?

Was Geld ist, und was Geld bedeutet, das muß ich Ihnen nicht erklären.

Aber was Ethik ist, das ist schon einer Erklärung bedürftig, unterliegt doch das Wort zur Zeit geradezu einer Inflation von Verwendungen. Es gibt Ethik-Seminare, Ethik-Kongresse, Ethik-Experten, sogar einen Ethik-Lehrbeauftragten an der Technischen Universität Clausthal.

Doch was ist das: Ethik? Ist Ethik dasselbe oder das gleiche wie Moral oder Tugend oder Sitte?

Heute abend möchte ich Ihnen nicht alle Spielarten der metaethischen Diskussion vorstellen, sondern gleich auf den Punkt kommen.

Jeder von verbringt seinen Tag und sein Leben damit, indem er handelt und sich zu anderen Menschen verhält. Wir handeln also nicht willkürlich: mal so, mal so.

Hinter jeder unserer Taten steckt ein - meist unbewußter - Plan, der uns sagt, wie wir uns verhalten wollen.

Sie, liebe Zuhörer, machen es jetzt gerade alle vor: bei einem Vortrag hören Sie zu, keiner von Ihnen würde jetzt aufstehen und lauthals zu singen anfangen. Das macht man eben nicht, sagen wir uns und sitzen weiter und lauschen (auch wenn uns manchmal nach Singen zumute ist).

All diese Dinge, die sich gehören, haben wir entweder von den Eltern gehört oder von der Schule oder der Gesellschaft gelernt. Einige Taten beruhen auf unserer eigenen Entscheidung. Auch wenn andere das anders machen, ich mache das so!

Dieser Plan, diese unbewußte Theorie, lenkt unsere Lebensführung in der Praxis.

Diese Theorie der menschlichen Lebensgestaltung, das ist die Ethik. Früher haben wir das als Moral bezeichnet, doch dieses Wort ist uns wohl irgendwie zu moralisch geworden.

Jeder hat eine Ethik in sich, eine Theorie, wie er sein Leben lebt, was richtig und falsch ist, was Recht und Unrecht darstellt. Einen Menschen ohne Ethik gibt es nicht.

Kinder bilden sie in sich aus, gucken Verhaltensmuster von den Großen ab, probieren sie spielerisch aus und lernen über die Erfahrung. Die ersten Lebensjahre bilden auch die Kinderstube für die Ethik.

In der Pubertät werden dann mit Macht alle bisher von den Eltern und der Gesellschaft erfahrenen Ethikmaßstäbe geprüft, indem an ihnen gerüttelt wird. Am Ende der Pubertät hat der Jugendliche seinen Ethik-Lebensentwurf neu gestaltet, manches behalten, manches verworfen.

Die weitere individuelle Ethikentwicklung geht dann in den Lehr-, Studier-, und Wanderjahren vor sich. Und sie hört niemals auf.

Bis in's hohe Alter fragen wir uns nach den Wertmaßstäben, die uns wichtig sind. Erfahrungen, die man als älterer Erwachsener macht: die Geburt der eigenen Kinder, der Tod von Eltern und Freunden und auch Lebenspartnern, lassen uns unseren unbewußten Theorieentwurf neu bewußt werden.

Ethik ist also kein Modethema am Anfang des dritten Jahrtausends, sondern ein anthropologisches Wesensmerkmal. Der Mensch ist, indem er ist, ein ethisches Wesen. Das unterscheidet den homo sapiens von den Tieren: ein sich lebenslang weiterentwickelnder Wertmaßstab, der aus dem Vergangenen lernt, um das heute und morgen zu bestehen.

2. Der Mensch als ethisches Wesen und das Geld

Die meisten von uns haben zu Hause: eine Bibel (keine Angst, jetzt kommt keine Predigt).

Die Bibel ist das Buch, das das christliche Abendland inclusive unserer modernen Welt geprägt hat, wie kein anderes. Ob man will oder nicht, in der Kirche ist oder nicht, die Prägung durch die Bibel ist nicht wegzudiskutieren.

Heute abend möchte ich die Bibel nicht als Glaubens- oder als Lehrbuch anführen, sondern als ein Zeitdokument. Schließlich berichtet uns das Alte Testament Geschichten aus der kulturellen Frühzeit des Menschen.

Dort finden wir zum Beispiel berichtet, wie sich allmählich gegenüber der reinen Naturalwirtschaft die Geldwirtschaft durchsetzte, die mit Zahlungsmitteln als Wertmesser von Gütern und Leistungen arbeitet.

Münzen, geprägtes Geld mit einem vom Staat garantierten Wert, gab es erst in der Perserzeit. Vorher bestand das Geld aus Edelmetallstücken in verschiedener Form (meistens Barren oder Ringe) und von verschiedener Größe, die man jeweils beim Kaufvertrag mit Hilfe von Gewichtssteinen abwog.

Daher gewann das hebräische Wort für wägen die Bedeutung zahlen. Und so wurde das Wort Schekel, ursprünglich ein bestimmtes Gewichtsmaß, die übliche Bezeichnung für den meistgebrauchten Geldwert.

Das gebräuchliche Metall war das Silber, und so wird im Alten Testament das hebräische Wort für Silber oft auch für Geld verwendet.

An keiner Stelle qualifiziert die Bibel Geld an sich oder Eigentum an sich als negativ. Der Erwerb von Eigentum, das man mit Geld messen kann, gehört zum Menschsein dazu.

Eigentum, und damit auch das Geld, ist an sich weder gut noch schlecht. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, durch seiner Hände Arbeit solches zu erwerben.

Der Besitz steht sogar unter besonderem Schutz. Das siebte Gebot Du sollst nicht stehlen sichert das Eigentum (inclusive den persönlichen Geldbesitz) mit Hinweis auf die höchste Autorität, und zwar die göttliche.

Selbst Martin Luther hat diesen Hinweis deutlich verstanden und unzähligen, katechismusbüffelnden Konfirmanden eingeprägt mit der Frage nach dem 7. Gebot:

Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Geld und Gut nicht nehmen, noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen, sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten. (Wie aktuell der alte Luther doch noch immer ist; Kleiner Katechismus, Erklärung zum 7. Gebot).

Ein Mensch, der heute auf die Welt kommt, und weder Bibel noch Luther kennt, lernt doch sehr schnell die Grundtatsachen, die uns die alten religiösen Traditionen bereits aufzeigen: jeder Mensch hat ein Anrecht, durch Arbeit Geld zu verdienen und Eigentum zu erlangen. Eigentum und Geld stehen unter einem besonderen Schutz, heutzutage: dem staatlichen.

Doch wie geht der Mensch mit dem Geld um? Welchen Stellenwert nimmt Geld in der Lebensführung ein? Die Theorie der Lebensführung, also die Ethik, muß auch für diesen Gesichtspunkt Handlungsmöglichkeiten durchprobieren und eine individuelle Bewertung durchführen.

Am Ende hat jeder Mensch in seiner Lebenstheorie auch den Umgang und sein Verhältnis zum Geld geklärt.

Er ordnet den ethischen Stellenwert des Geldes ein

a) bei der Frage nach dem eigenen Selbstwert,
b) bei der Frage nach dem Umgang mit anderen,
c) bei der Frage nach dem Zusammenleben in der Gesellschaft.

Diese drei Dimensionen möchte ich im folgenden durchspielen. Am Anfang möchte ich immer ein (oder mehrere) persönliche Erlebnisse vorstellen, die - positiv oder negativ - für die Diskussion als paradigmatisch gelten dürfen.

Zunächst:
a) Die Rolle des Geldes bei der Bestimmung des eigenen Selbstwertes

Im Kinderzimmer herrscht eines Tages große Unruhe. Der fünfjährige Sebastian ist sauer. Mit einem Euro in der Hand steht er da und protestiert: Die Lego-Kiste einräumen, die Playmo-Kiste einräumen, die Musikkassetten einräumen: und dafür nur einen Euro. Das ist gemein. - Wieso?, frage ich als geforderter Papa, das war doch so abgemacht. - Aber Christopher hat zwei Euro bekommen. - Ja, aber dafür hat er doch den ganzen Nachmittag im Garten geholfen. - Trotzdem: gemein ist gemein.

Ein zweites Beispiel:
Als Pastor mache ich einen Taufbesuch in Radbruch in der Lüneburger Heide. Der kleine Täufling ist circa vier Wochen alt, sein großer Bruder ist schon sechs Jahre. Mitten im Gespräch klingelt es an der Tür. Überraschend kommt Opa zu Besuch. Opa fragt den Sechsjährigen: Gibst Du Opa denn heute gar keinen Kuß? - Nein, sagt der Kleine etwas schüchtern in seiner Spielecke. Doch die Mama weiß eine Lösung: Wenn Du Opa einen Kuß gibst, dann bekommst Du etwas für Deinen Spartopf. Der Junge merkt auf, läßt sich derart überzeugen, und Opa kriegt den Kuß ... für Geld.


Ein drittes Beispiel:
1990 arbeitete ich für mehrere Wochen auf der Davidwache, St. Pauli-Süd. Ich lernte das Leben auf dem Kiez kennen, wo die schnelle Mark oder auch die schwere Mark gemacht wird. Viele Gespräche konnte ich mit Prostituierten führen. Eine erzählte mir folgendes. Ich zitiere aus dem Tonbandprotokoll:

Als Verkäuferin schuftete ich im Supermarkt. Wenig Geld, massig Streß, und dann noch angegrabscht werden, ohne meckern zu dürfen. Da habe ich mir gesagt: dann mache ich gleich richtig Geld. Und als mein Freund mich fragte, hab ich's gemacht. Hauptsache die Kohle stimmt. Das ist doch überall so. Ob der Körper nun hier oder im Supermarkt kaputt geht. Ist doch wahr.

Drei verschiedene Beispiele für den Umgang mit Geld, und gleichzeitig drei verschiedene Beispiele für die Bestimmung des Selbstwertes mittels Geld.

Das Beispiel Nummer eins aus dem aufgeräumten Kinderzimmer zeigt deutlich: wenn es ums Geld geht, kennen kleine Kinder keine Relativierung. Bezahlung und Person sind für den Fünfjährigen so eng miteinander verknüpft, das ein Hinweis auf das Leistungskriterium nichts ausrichten kann. Geldwerte Leistungen werden anfangs noch nicht verglichen. Das Geld kriegt die Person, das Individuum, nicht die Leistung.

Und wenn einer mehr als der andere bekommt, dann ist das eine Mißachtung und Geringschätzung der benachteiligten Person. Also muß es gleichverteilt sein, wie die Puddingportionen beim Nachtisch. Wenn die Menschen gleich sind, dann steht ihnen auch das gleiche zu. Alles andere ist ungerecht, zunächst.

In der Erwachsenenwelt gehören allerdings Geld und Leistungsprinzip untrennbar zusammen; und so funkioniert die Marktwirtschaft, wenn alle Menschen - unter diesem Prinzip - in ihr mitwirken können.

Trotzdem bleibt die verhängnisvolle Verknüpfung von Geld und Selbstwert erhalten. Verhängnisvoll ist sie deshalb, weil der Selbstwert in die immaterielle Dimension des Seins gehört, das verdienbare Geld aber in die materielle Dimension des Habens. Und Sein und Haben sind nicht kompatibel.

Ein Kind lernt es - wenn es gut geht - irgendwann: auch wenn verschiedene Leistungen verschieden bezahlt werden müssen, trotzdem bleibt jedes Kind für seine Eltern gleich liebenswert, auch wenn es nur einen Euro und nicht zwei verdient hat.

Beispiel Nummer zwei: der Besuch von Opa beim Taufgespräch.
Für Geld tut man alles, das ist die Botschaft, die die Mutter ihrem Sechsjährigen mitgegeben hat. Für Geld tut man alles, sogar den Opa küssen, wenn man das gar nicht will, und auf seinem Schoß sitzen, wenn man eigentlich lieber spielen möchte. Früh schon lockt das Geld, wenn man es derart als Lockmittel einsetzt.

Deutlich wird: da Ethik sich im Kindesalter entwickelt, ist die Rolle der Eltern und die Zeit der Kindheit über alle Maßen zu bewerten.

Nur Eltern können ihren Kindern Urvertrauen zu sich und zum Leben geben.

In der klassischen Definition von Erik Erikson ist Urvertrauen eine auf Erfahrungen der ersten Lebensjahre zurückgehende Einstellung zu sich selbst und zur Welt... Mit Vertrauen meint Erikson das, was man ...als ein Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens kennt, und zwar in Bezug auf die Glaubwürdigkeit anderer wie die Zuverlässigkeit seiner selbst. Das Ur-Vertrauen ist der Eckstein der gesunden Persönlichkeit.

Geld spielt hier keine Rolle, denn die Ausbildung und Festigung eines Urvertrauens ist wiederum eine Kathegorie des Seins und nicht des Habens.

Noch einmal sei es deshalb gesagt: Seins-Charakteristika mit Geld zu be- oder verrechnen, ist eine Vermischung der Kathegorien. Was man ist, kann man nicht haben. Und nicht das Haben macht einen zu etwas, man ist schon etwas, indem man da ist.

Wie leben heutzutage in einer dominanten Haben-Gesellschaft. Gerade deshalb ist es nicht gutzuheißen, wenn schon Kinder lernen sollen, daß ALLES seinen Preis hat. Sie selbst haben keinen. Sie sind nicht zu kaufen. Und ihre Liebe auch nicht.

Beispiel Nummer drei, das Gespräch mit der Frau, die auf dem Kiez arbeitet. Hauptsache die Kohle stimmt, das ist eine Botschaft, die schon im vorigen Beispiel laut wurde.

Hier finden wir die Einstellung wieder, in der krassesten Form, die man sich denken kann. Die Argumentationsstruktur der Frau hat dennoch eine gewisse Form von gesellschaftlich anerkannter Logik. Wenn ich mich schon kaputtmache, dann dort, wo ich am meisten Geld bekomme.

Ich sage ehrlich: mir fiel damals auf die Schnelle kein Einwurf ein, um ihre Argumentation auszuhebeln.

Deutlich ist aber an diesem Beispiel zu sehen, wie verhängnisvoll die Verknüpfung von Geld und Selbstwert enden kann. Um dem zu wehren, haben wir wieder auf die inneren Werte zu achten, die bereits bei der Kindererziehung eine Rolle spielen.

Zur zweiten Dimension:
b) Die Rolle des Geldes und der Umgang mit anderen

In der Konfirmationsgruppe gehört Mike zur großen Jungenclique. Sie tragen die gleichen Baseballmützen, reden den gleichen Slang und spielen gemeinsam gegen die anderen Fußball oder Magic. Eines Tages ist alles anders. Mike gehört nicht mehr dazu. Hintenrum erfahre ich: Mikes Vater ist arbeitslos geworden. Daraufhin wird Mike zur Zielscheibe des Spottes. Er soll nicht mehr dazugehören und hat jetzt gefälligst eine andere Mütze zu tragen. Dein Alter ist ja Aso! (Asozial). Der kann bei uns ja das Auto waschen, wird ihm zugerufen.

Ein zweites Beispiel:
Mittwoch ist Aldi-Tag. Seit Jahren zunehmend werden dort nicht mehr nur Lebensmittel, sondern auch Kleidung verkauft, neuerdings auch Computer, Fernseher und Stereoanlagen (aber das ist ein anderes Thema). In manchen Familien bricht am Mittwoch abend Streit aus. Kinder weigern sich, die günstigen Schuhe oder Jogginganzüge oder Regenjacken anzuziehen. Das wissen doch alle, daß das von Aldi ist, sagen sie und riskieren den Kleidungsaufstand.

Genau wie beim Selbstwertgefühl ist auch der Umgang mit anderen vom Kriterium des Geldes abhängig. Und wiederum spielt das Elternhaus eine große Rolle, wie die sich ausbildende Theorie der Lebensführung das Geld als Kriterium einbaut.

Die hänselnden Kinder im ersten Beispiel, die von ihrem alten Freund Mike jetzt nichts mehr wissen wollen, haben diese Einstellung nicht selbst erfunden. Sie haben sie bereits vorher in der Erziehung keimhaft vorgefunden, aufgenommen, und jetzt probieren sie sie aus. Und die Einstellung scheint gut zu sein. Mike reagiert wie geplant. Die anderen Jungs aus der Clique haben Macht über Mike, sie, deren Väter Arbeit und Geldverdienst haben, können auf den anderen - ohne Arbeit und ohne Geldverdienst - herabblicken.

Welche Sprüche haben die Jungs wohl zu Hause gehört, damit sie sich Mike gegenüber derart verhalten? Vielleicht: Wer arbeitslos ist, ist selber schuld! oder Die Arbeitslosen liegen uns auf der Tasche! oder Die sollen doch zum Autowaschen herangezogen werden!

Die sich verweigernden Kinder aus dem zweiten Beispiel haben ebenfalls ihre Erfahrungen gemacht. Tatsächlich werden - schon in der Grundschule - Markenschuhe und Markenjeans als Statussymbole wahrgenommen und die darin steckende Person bewertet. Und ein Kind in einer Aldi-Jacke..., tja, ob man so eins zum Spielen mit nach Hause nehmen kann?

Wieder frage ich mich, welche Sprüche Kinder zu Hause aufgeschnappt haben, um eine derartige Einstellung zu ihrem frühen Lebenstheorieentwurf auszuprobieren.

Bei allem Einfluß von Medien und Werbung und Zeitgeist bleibt meines Erachtens die Prägung durch das Elternhaus auch hier die Hauptursache. Und wenn hier die Denk- und Handelsstruktur des Habens beziehungsweise des Haben-Wollens vorherrscht, prägt das entscheidend die Entwicklung. Sie fließt ein in die gesellschaftliche Stimmung und so erst wird ein Zeitgeist daraus.

Die derzeitige gesellschaftliche Befindlichkeit wird gerne mit dem Begriff der Erlebnisgesellschaft beschrieben.

Der Begriff Erlebnisgesellschaft ist durch Gerhard Schulze in die Diskussion gekommen. Wieder kann ein Alltagsbeispiel zeigen, was damit gemeint ist.

Unsere heutige Gesellschaft scheint wie ein großes Warenhaus zu sein. Es gibt hier fast alles zu kaufen und das in großer Auswahl.

Nehmen wir zum Beispiel einen Drogeriemarkt. Ich gehe dahin mit der Absicht, ein Stück Seife zu kaufen. Die alte hat sich im wahrsten Sinne des Wortes verkrümelt, nun wird es Zeit. Im Drogeriemarkt merke ich jedesmal: das was ich suche, finde ich nicht sofort. Aber endlich stehe ich vor einem schier endlosen Regal mit unterschiedlichen Sorten von Seife. Feste, flüssige, runde, eckige, mit Zusatzstoffen, ohne Zusatzstoffe. Die Qual der Wahl bringt mich fast zum Verzweifeln.

Ich gucke genau hin, sehe die Werbeslogans, und merke: bei meiner Entscheidung ist nicht mehr allein der Gebrauchswert gefragt, sondern der Erlebniswert. Will ich die mit der wilden Frische von Limonen, mit der cremigen Zartheit, mit dem männlichen Duft, mit dem mir alles passieren kann, inclusive erotischer Ausstrahlung.

Ich kaufe also nicht einfach Seife. Ich kaufe die Erlebnisqualität oder das Erlebnisversprechen.

Angesichts der großen Auswahl der vom Gebrauchswert gleichen Produkte müssen wir alle wählen. Beim Wählen sind wir auf unseren Geschmack angewiesen. Wir müssen wissen, was uns gefällt.

Genauso wie mit der Seife ergeht es uns mit anderen Produkten. Die Werbung suggeriert uns nicht den Gebrauchs-, sondern den Erlebniswert. Diese Zigarette verspricht Freiheit, jene Abenteuer. Dieses Bier verspricht mir die weite Welt oder macht mich zum König. Dieses Parfüm suggeriert Luxus für mich, jenes ein romantisches Erlebnis.

Die Werbung vermag aber noch viel mehr. Ihr Anpreisen von positiven Erlebnismöglichkeiten hat die ganze Gesellschaft geprägt. Wir wollen nicht nur etwas erleben, wenn wir konsumieren, nein, auch ganz alltägliche Dinge kommen unter den Erlebniszwang. Die Schule, der Konfirmandenunterricht, der Weg zur Arbeit und die Arbeit selbst soll: Spaß machen, erlebnisreich sein.

Am besten wäre der ganze Alltag ein richtiger Robinson-Club. Leider spielt der Alltag da nicht mit.

Und so fangen die Menschen, fangen wir an, uns den Alltag herzurichten. Wir arrangieren uns unsere Lebensumstände so, daß wir sie schön finden. Wir instrumentalisieren alles, um eine positive Wirkung zu verspüren. Früher sagten Taufeltern: unser Kind ist da. Heute sagen Taufeltern: unser Kind ist dazu da, um uns glücklich zu machen.

Wir richten uns das Leben so ein, daß es uns gefällt. Alles wird zum Objekt für uns, auch Menschen werden erst dann für uns angenehm, wenn sie Erlebnisobjekt bis hin zum Lustobjekt werden.

Diese Erlebnisrationalität, also: die Leistung, sich Erlebnisse zu verschaffen, ist gar nicht so einfach. Sie verlangt viel innere Energie und Leistung.

Zum Glück ist der Mensch aber ein Hordentier, und so gibt es noch die anderen. Was sich bei einem Großteil von Menschen, die ich kenne, als positiv erwiesen hat, das finde ich auch gut. Das sind die sogenannten Milieus in der Erlebnisgesellschaft.

Etwas schubladenhaft, aber bildlich, lassen sie sich so skizzieren:

  • Gehobene Berufsgruppen bilden das Niveaumilieu, gehen gern ins Museum und die Oper.
  • Arbeiter bilden das Harmoniemilieu und lieben Volkstheater und Fernsehshows.
  • Beamte findet man hauptsächlich im Integrationsmilieu, sie lieben eher Pop und Jazz.
  • Yuppis gründen im Selbstverwirklichungsmilieu und stehen auf Livekonzerte und Cafés.
  • Jüngere Arbeiter findet man im Unterhaltungsmilieu, sie mögen Flipperspiele und Autorennen.

Die soziale Zusammengehörigkeit zeigt sich also nicht mehr im Berufsalltag, sondern auch in der Gestaltung des Freizeit-Erlebens. Das Milieu entlastet den Einzelnen, sich selbst etwas Positives zu suchen, gleichzeitig belastet es den Einzelnen, denn es ist schwer, aus dem Milieu auszubrechen.

Ein Bankchef spielt eben nicht in der Kneipe Billard nachts um zwölf, und ein junger Maschinenschlosserlehrling geht nicht zu Anne-Sophie Mutter. Meistens wollen sie das auch gar nicht: Das Milieu ist so fest und in Fleisch und Blut übergegangen, daß man sich gar nichts anderes mehr wünscht oder vorstellen kann.

Die letzte Dimension:
c) Die Rolle des Geldes für das Zusammenleben in der Gesellschaft

Von Sommer 1997 bis Herbst 2003 lebte und arbeitete ich in Clausthal, bei der Evangelischen Studentengemeinde, gleich neben der altehrwürdigen Technischen Universität.

Täglich hatte ich Umgang, Kontakt und Gespräche mit Professoren und Dozenten, Studierenden: ob Erstsemester, Vordiplom oder Promovent. Kurz: ein akademisches Klima herrscht vor im Oberharz. Man trifft sich schnell mal zum Kaffee, liest die Frankfurter Allgemeine oder die Süddeutsche. Viele haben ein Theaterabo in Göttingen oder Hannover. Der Universitär geprägte Clausthaler way of life ist etwas gehoben, und auch bei Streitigkeiten geht man noch nett miteinander um.

Doch diese Art zu leben ist nicht die einzig mögliche. Das vergißt man oft, wenn man nur in akademischen Kreisen wirkt.

So habe ich mich wirklich gefreut, als mir durch eine private Bekanntschaft eine ganz besondere Mitgliedschaft angetragen worden ist: die Mitgliedschaft in der Goldenen Neun, einem Clausthaler Kegelclub. Ich habe zugestimmt. Jeden Donnerstag, wenn es die Zeit erlaubte, war ich mit dabei.

Dort kegelt kein Professor und kein Dozent. Dort wird keine Süddeutsche gelesen, sondern vornehmlich die Goslarsche, die Welt, aber eher doch die Bild. Handwerker, Angestellte, wenige Beamte und schließlich auch ein Pastor bestimmen die Atmosphäre. Hier wird auch mal deutlich und in Klartext gestritten.

Zum Beispiel im Jahre 1998 über ein Herzstück jeder Gesellschaftsform: die Steuerpolitik. Die Mehrwertsteuer wurde um ein Prozent erhöht, bei zeitgleicher Anhebung der Abgeordnetendiäten (immerhin auch aus Steuermitteln).

Die Stimmung in der Goldenen Neun war explosiv. Da sieht man es mal wieder, die da oben bedienen sich doch alle nur selbst. - Das Geld sprudelt bei denen doch nur so aus der Wand.

Und dann wurde über ein Schweinderl geredet, das noch heute durch Was bin ich?-Shows im Fernsehen tingelt, Norbert Blüm und seine Baupläne für das Arbeitsministerium, dessen Bauplan ja ausführlich in der Bild nachzuprüfen war.

Die von mir geschilderte Stimmung im Oberharzer Kegelclub ist keine Anekdote, keine Privatstimmung. Sie ist paradigmatisch für den größten Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Es geht um Geld. Und um Ethik. Und da ist jeder kompetent.

Jeder weiß, daß Steuern vernünftig sind, ohne Frage. Wo viele etwas abgeben, kann das Gemeinwesen Dinge erschaffen und erhalten, die ohne die Finanzmasse der Menschen nicht möglich wären. Infrastrukturmaßnahmen, Kranken-, Schul- und Sozialwesen, Hilfe und Förderung von Schwachen in der Gesellschaft, nicht zuletzt Exekutive, Legislative und Jurisdiktion.

Die Selbstverständlichkeit von Steuern macht einen Garant der Stabilität der modernen Gesellschaft aus. Diese Selbstverständlichkeit ist aber mehr und mehr am verblassen.

Aus der Vielzahl der Gründe möchte ich nur einen nennen, und zwar den unangenehmsten, den sogar der Kegelclub benennen kann. Es handelt sich um den problematischen Umgang einzelner oder vieler in der Öffentlichkeit stehender Personen oder Institutionen mit dem anvertrauten Steuergeld.

Wo öffentliches, anvertrautes Steuergeld verschwendet oder für persönliche Zwecke eingesetzt wird, und das kommt dann raus, dann färbt so ein Verhalten nach unten ab.

Bitte bedenken Sie: Ich möchte hier keine Politikerschelte auf Stammtischniveau halten. Dennoch gilt: eine Gesellschaft ist nur so gut, wie diejenigen, die diese Gesellschaft öffentlich vertreten und die Regeln dieser Gesellschaft auch selbst einhalten.

Wenn dieses Vertrauen gebrochen ist, dann brechen die Dämme. Unredlichkeit ist ansteckend. Genauso wichtig wie Vertrauen ist die Integrität von Politikern, ist die Transparenz der Politik.

Was wird mit dem Steuergeld eigentlich gemacht? Wer bestimmt das? Welcher Aufgaben nimmt sich ein Staat an, und welcher nicht? Jeder Wahlkampf müßte eigentlich der Offenlegung dieser Fragen dienen. Stattdessen erleben wir zur Zeit ein Musterbeispiel vom schlechten Beispiel.

Noch einmal sei es gesagt: kein Mensch lebt für sich allein. Seit dem Neolithikum, also seit der Bildung größerer Lebensgemeinschaften, läßt sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung aufzeigen, und damit verbunden auch die Abgabe von einzelnen für das Ganze, für das Gemeinwesen und Gemeinwohl.

In demokratisch verfaßten Staaten ist das Prinzip der Gerechtigkeit auch bei der Steuer obligatorisch: wer wenig hat, zahlt wenig, wer viel hat, zahlt viel. So einfach ist das. Aus dieser einfachen Einsicht ist aber ein Wust von Frustration geworden. So kann es nicht weitergehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
über Geld redet man nicht. Ich habe es trotzdem getan.

Die Rolle des Geldes ist enorm groß bei der Bestimmung des eigenen Wertes, im Umgang mit anderen sowie im Zusammenleben in der Gesellschaft.

Den Umgang mit sich selbst und anderen regelt jeder mittels seiner - oft unbewußten - inneren Ethik. Jeder hat in sich seine Theorie für die Lebensführung. Und in dieser Theorie kommt Geld öfter vor, als man meinen sollte.

Der Philosoph Erich Fromm hat die Menschen davor gewarnt, bei aller Selbstverständlichkeit des Geldes, die Lebensqualität des Seins in die Qualität des Habens transferieren zu wollen


Noch älter ist der Hinweis der Bergpredigt, nach der man nicht zwei Herren dienen kann. Entweder man wird den einen hassen und den anderen lieben, oder man wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Für die Tradition der Bibel ist Geld an sich nicht negativ belastet. Nur wo es zum Mammon, zum Gott wird, wo Menschen nur noch haben wollen, anstatt zu sein, wo Geld allein den Selbstwert bestimmt (schon bei Kindern), wo der Umgang mit anderen in geldwerten Kriterien berechnet wird, wo die Gesellschaft gute selbstverständliche Regeln des finanziellen Zusammenlegens für ein gerechtes, soziales Miteinander verkommen läßt, da wird Geld zum Mammon, da ist das alte Wort der Bibel hochaktuell.

Die Ethik jedes einzelnen ist herausgefordert, sich damit auseinanderzusetzen, Dieses zu befördern, sollte Ziel dieses Vortrages sein.

Ich danke für Ihr geduldiges Zuhören.


letzte Änderungen: 26.XI.2004

 

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Publiziert am: Dienstag, 13. Mai 2008 (4530 mal gelesen)
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